24.9. 2004
Presseerklärung des Interessenverband ehemaliger
Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand,
Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener Sachsen-Anhalt (IVVdN)
u.a.
Ehrung für verurteilte Kriegsverbrecher
Skandal in Halle
Auf Grund eines Presseartikels in der "Mitteldeutschen
Zeitung" vom 16.September 2004 unter der Überschrift "Kein
Gras über der Geschichte" geben die nachfolgenden Verbände
der Opfer des Naziregimes den Medien folgendes zur Kenntnis. Am
1. Juni 2003 wurde auf dem der Stadt Halle unterstehenden Gertraudenfriedhof
mit der irreführenden und falschen Bezeichnung "würdige
Grabanlage für die Opfer von Krieg und Gewalt" in Wirklichkeit
ein Ehrenfriedhof als Gedenkstätte für Häftlinge
, die als verurteilte Kriegsverbrecher und Naziaktivisten im Gefängnis
Forst-Zinna (sic!) in den Jahren 1950 bis 1953 verstorben
waren, eingeweiht. Es wurde verschwiegen, dass darunter größtenteils
Häftlinge waren, die wegen Kriegsverbrechen, Teilnahme an Erschießungen,
Misshandlung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, SS-Zugehörigkeit,
als Wachpersonal, Angehörige der Gestapo usw. verurteilt wurden.
Bei der offiziellen Einweihung wurden alle ausnahmslos als unschuldige
Opfer dargestellt. Die Grabanlage wurde als Ehrenfriedhof gestaltet
und auch in den Einweihungsreden offiziell als Gedenkstätte
bezeichnet. Alle, auch die verurteilten Kriegsverbrecher, wurden
mit einer Kranzniederlegung geehrt. Für die Errichtung einer
Gedenkstätte gab es dabei aber keinen Beschluss im Stadtrat
von Halle.
Es ging den Organisatoren dieser Gedenkstätte
nicht um eine würdige Grabstätte, dagegen hätte es
unsererseits keinerlei Einwände gegeben, sondern um eine posthume
Ehrung und Rehabilitierung von Kriegsverbrechern. So bedauernswert
es für jeden verstorbenen Häftling ist, handelt es sich
nachweislich und unwiderlegbar bei den 117 Verstorbenen überwiegend
um rechtmäßig verurteilte und auch der neuerlichen Überprüfung
der russischen Rehabilitierungsbehörde um wirkliche Kriegsverbrecher,
deren Rehabilitierung abgelehnt wurde. Der in den Medien bereits
bekannte Dr. Müller von der Stiftung "Sächsische
Gedenkstätten", aus der alle NS-Opferverbände aus
Protest gegen die einseitige Arbeit der Stiftung ausgetreten sind,
hatte sich nicht nur für die Rehabilitierung des Euthanasieverbrechers
Hans Heinze eingesetzt, sondern sich auch um die Rehabilitierung
der 117 "Torgauer Kriegsverbrecher" bemüht. Die Generalstaatsanwaltschaft
der Russischen Föderativen Republik überprüfte noch
einmal alle Urteile, rehabilitierte mehrere oder änderte bei
einigen das Strafmass. Bei bisher 59 Anträgen wurde die Rehabilitierung
abgelehnt, weil es sich um rechtmäßig verurteilte Kriegsverbrecher
und Massenmörder handelt, die nicht zu dem Kreis gehören,
der rehabilitiert werden kann.
Es ist ein unglaublicher Skandal. Es ist kaum zu glauben.
Es ist aber in der Gegenwart geschehen. Unter der Verantwortung
der Stadtverwaltung Halle wurde mit Unterstützung des Ministeriums
des Innern von Sachsen-Anhalt, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten,
von Verbänden der Opfer des Stalinismus und des Vereins Zeitgeschichte
e.V. dieser empörende Skandal organisiert und durchgeführt.
Es gibt kein anderes Beispiel in der Bundesrepublik,
wo so offen Naziverbrecher geehrt wurden und den rechten Kräften
Vorschub geleistet wird, welche die Verbrechen der Nazis und der
Wehrmacht leugnen. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002 wird
im Abschnitt "rechtsextremistische Bestrebungen" besonders
auf die Zielstellung der Rechtsextremisten zur Rehabilitierung von
Kriegsverbrechern hingewiesen.
Zur Klarstellung, wer in Halle geehrt wurde, einige
Beispiele:
Geehrt wurden Walter Biermann und Arno Brake. Beide
NSDAP-Mitglieder haben an der Ermordung von 1017 KZ-Häftlingen
und Zwangsarbeitern in Gardelegen teilgenommen. Im April 1945, wenige
Tage vor der Befreiung durch amerikanische Truppen fand dieses grausame
Massaker in der Scheune von Isenschnibbe statt. 1017 Häftlinge
auf dem Todesmarsch wurden in eine Scheune getrieben, das darin
liegende Stroh angezündet und jeder, der flüchten wollte,
wurde erschossen. 63 jüdische Häftlinge zahlreiche ausländische
KZ-Häftlinge waren unter den dort viehisch Ermordeten.
Geehrt wurden unter anderen der Wachtmeister in einem
Polizeibatallion, Otto Pusch, Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener;
Bruno Lange, Erschießung von 100 sowjetischen Kriegsgefangenen,
und Otto Bahls, Erschießung in Bromberg. Unter den Geehrten
befinden sich der Mitarbeiter der Gestapo Emil Dobis, der SA-Hauptsturmführer
Walter Bartel, weiter Mitarbeiter im Sicherheitsdienst, Sonderführer,
Verantwortliche für die Deportation von Zwangsarbeitern, Lagerkommandaten
usw. .
Darüber hinaus wurden diese Verbrecher nicht nur
geehrt, sondern der Ehrenfriedhof wurde unter Schutz des Gräbergesetzes
für Opfer von Krieg und Gewalt gestellt. Dieses gilt laut §
1 aber nur für "Opfer rechtsstaatswidriger Gewaltmaßnahmen
des kommunistischen Regimes". Verurteilte Kriegsverbrecher
und Verstorbene in alliierten Internierungslagern sind nicht unter
Schutz des Gräbergesetzes gestellt. Auch hier zeigt sich die
wahre Absicht der Organisatoren. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern
als Unrecht zu bezeichnen und sie als Opfer von Gewalt darzustellen.
Mit tiefer Empörung wenden wir uns, die noch lebenden
Opfer dieser Verbrecher, auch im Namen unserer ermordeten Kameraden
und der Millionen Opfer des Holocaust, an die Öffentlichkeit
diesen Skandal zu verurteilen. Für Deutschland, ein wichtiger
Bestandteil der Europäischen Gemeinschaft, ist die Ehrung von
Kriegsverbrechern, besonders für die Länder, deren
Angehörige von den hier geehrten Kriegsverbrechern ermordet
wurden, empörend. Wir fordern die Stadt Halle auf, zu untersuchen,
wer für diesen Skandal verantwortlich ist und Schlussfolgerungen
daraus zu ziehen.
Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen
Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener Sachsen-Anhalt
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten Bundesausschuss
Fédération Internationale des Résistants
(sic!) (FIR) Generalsekretariat
Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald - Dora
Lagergemeinschaft/Freundeskreis KZ Lichtenburg
Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis
Verband Deutscher in der Resistance, in den Streitkräften
der Ant-Hitlerkoalition und im Nationalkomitee Freies Deutschland
(DRAFD)
Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik
Lagergemeinschaft ehemaliger Häftlinge des KZ
Mauthausen, Hinterbliebener und Freunde, BRD
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