Ein Nachruf von Günter Buchenau
Dr. Peter Willms – oder, wie ihn seine Freunde nannten – PITT hat den Beginn und bisherigen Verlauf jener unvollendeten friedlichen Revolution grundlegend mitgestaltet, in der wir uns seit Oktober 1989 befinden.
Als einer von 12 wurde er am 15. Oktober 1989 von der ersten Freien Bürgerversammlung in der Pauluskirche zum Bürger-Dialog ins hallesche Rathaus entsandt, um die angekündigten Wiederholungen des brutalen Volkspolizei-Einsatzes von knapp einer Woche zuvor ein für allemal abzuwenden. Die friedliche Revolution konnte jeden Augenblick scheitern.
Es gab gewaltbereite Kräfte des alten Regimes, und es gab schon damals Extremisten, die das Ziel gewaltfreie DEMOKRATISIERUNG hassten. Ein durch sie in einer zusammenbrechenden staatlichen Ordnung entfesseltes Chaos hätte den am Horizont sichtbar gewordenen gewaltfreien Neuanfang durch erneute Diktatur zu Fall gebracht.
So galt es, jetzt sofort mit den DemokratieaktivistInnen der Bürgerbewegungen und mit den Repräsentanten bisheriger Unterdrückung – die noch alle Schaltstellen hielten und für die Durchführung von einfach allem unverzichtbar waren – gemeinsam die Übergangszeit bis zu freien Wahlen tatsächlich demokratisch zu gestalten. Die in Polen erstmalig erprobten RUNDEN TISCHE erschienen als das Mittel der Wahl: Es ging um gewaltfreie Neugestaltung der 1000 Dinge des täglichen und des politischen Lebens von Millionen Menschen: Sowohl für den Bezirk Halle als auch für die Stadt Halle galt es, RUNDE TISCHE zu bilden und Verhandlungen und erwartbare hitzige Debatten zu moderieren. Dazu musste die wirkliche Durchführung im demokratischen Meinungsstreit erreichter `Verbindlicher Empfehlungen´ genau im Blick behalten werden.
Für Dr. Willms und seine `Co-Moderatoren´ Dechant Herold, Superintendent Buchenau und Pfarrerin Hanewinckel bedeutete das, jede Woche Dienstagvormittag die Debatten am Runden Tisch der Stadt Halle und Nachmittags am Runden Tisch des Bezirks Halle zu moderieren. Die ganze Woche über musste der Spagat zwischen einer ihn voll fordernden Geschäftsführung der Krankenhäuser der heiligen Elisabeth in der DDR und der damals rasend schnellen politischen Entwicklung plus ggf. sofortigem Eingreifen bewältigt werden – alles ohne zusätzliche Hilfskraft!
Die Krankenhausleitung St. Elisabeth & St. Barbara kennzeichnet Dr. Willms in ihrem Nachruf als “harten Verhandler und verständnisvollen Partner […] Vermittler und Schlichter von besonderer Begabung“.
In der Tat: Dr. Willms´ juristisches und ablauforganisatorisches Wissen, sein enormes, vorausschauendes Fingerspitzengefühl und sein Weitblick waren in den knapp 6 Monaten für das Gelingen dieses in der DDR noch nie dagewesenen Procedere RUNDER TISCH fundamental entscheidend: Eine nie propagierte, aber stets gelebte Erkenntnis wird Pitt Willms aus Jahrzehnten leidenschaftlicher Debatten des Ökumenischen „Aktionskreis Halle“ (AKH) erwachsen sein, jener einzigen im katholischen Bereich entstandenen DDR-Bürgerrechtsbewegung: Aus dem erfahrenen Evangelium erwachsende Geschwisterlichkeit („Gott liebt alle Menschen ohne Vorbehalte, ohne Bedingungen und ohne Vorleistungen … und unterscheidet sich dadurch von allen Mächtigen dieser Erde und denen, die es gerne wären“) und erstrittene aufrechte Demokratie können sich gegenseitig stärken und dadurch eine sehr effektive Partnerschaft aufbauen, die unmöglich scheinendes bewegt. Dazu vermochte Pitt Willms‘ aus typisch rheinischem Katholizismus geborener Humor brenzlige Situationen zu befreiendem Lachen zu wandeln. So gelang mit den Runden Tischen, was einen geschichtlichen Moment zuvor niemand zu träumen gewagt hätte.
Dr. Willms hat sich danach den auf eine neue, andere Weise fordernden `Mühen der Ebene´ gestellt. Mit seiner jahrzehntelangen Mitwirkung hat er die Bemühungen des „Verein Zeit-Geschichte(n) e.V.“ über eine lange Zeit gefördert und mitgetragen. Damit hat er nicht nur das Anliegen der früheren Basisgruppen `Frauen für den Frieden´, `Ökologische Arbeitsgruppe des Ev. Kirchenkreises Halle(S)´, `Christliche Ärzte in humanistischer Verantwortung (ÖPPNW)´ u.a.m. in tätiger, mitdenkender Weiterarbeit lebendig erhalten. Sondern für ihn war ganz klar, wie wichtig das zähe Dranbleiben für die Weiterentwicklung der mit der Friedlichen Revolution begonnenen Bemühungen um die Verinnerlichung der Demokratie sind, jener Herausforderung, die sich – wie die aktuellen Nachrichten dieses Tages schlaglichtartig zeigen – in beiden früheren Teilen unseres Mutterlandes stellt, nicht nur im Osten Deutschlands.
Es gilt, sich dieser gegenwärtigen Krise ernsthaft zu stellen und dabei keine Mühe zu scheuen. Uns können sich dabei neue, bisher nicht wahrgenommene Chancen erschließen. Das würde gleichzeitig einer angemessenen Bewahrung von Dr. Peter (Pitt) Willms Andenken dienen.