Die Wandzeitung
Das Vergehen des Thomas Jonscher. Eine Geschichte aus der DDR.
Artikelnummer: ISBN 978-3-945377-01-7-1
Kategorie: Downloadprodukt
Die Wandzeitung. Das Vergehen des Thomas Jonscher. Eine Geschichte aus der DDR.
Mit einem Nachwort von Stefan Krawczyk und zahlreichen Abbildungen.
Autor: Roman Grafe
Hrsg.: Zeit-Geschichte(n) e.V.
2008
ISBN 3-9808120-9-X
Publikation vergriffen.
PDF-Datei – 0,8 MB
Rezension
Mitteldeutsche Zeitung, 30.7.2009
Thomas Jonscher ist ein Sieger der Geschichte. Als Held aber, der sich bei Gedenkfeiern Kränze um den Hals hängen lässt, wäre er ungeeignet. Seine Erlebnisse führen zurück in die DDR-Zeit, und es geht dabei um Dinge, die von der „Ein Kessel Buntes“-Seligkeit ostalgischer Museen gemieden wird und von Historikern allein nicht behandelt werden kann. Bewunderung braucht Jonscher (geboren 1959) nicht, er wollte seine Geschichte los werden.
Der in Halle aufgewachsene Jonscher geriet 1980, mit 21 Jahren, in die Fänge der Stasi. Vier Monate Untersuchungshaft im halleschen Gefängnis „Roter Ochse“, Einzelhaft, ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe wegen „öffentlicher Herabwürdigung“. Wofür? Für eine Wandzeitung, die er zum 31. Republik-Geburtstag gestaltet und mit der er mangelnde Meinungs- und Pressefreiheit, Willkür, Unterdrückung und Doppelmoral in der DDR attackiert hatte.
Unter dem Titel „Die Wandzeitung. Das Vergehen des Thomas Jonscher. Eine Geschichte aus der DDR“ hat der Berliner Journalist Roman Grafe das Erlebte aufgeschrieben und veröffentlicht. Knapp und lakonisch fällt dieser Bericht aus; nur manchmal werden die Ränder der Verzweiflung berührt. Eine packende Idee, ihn um zwei Perspektiven zu erweitern. In Briefen und Tagebuchnotizen Jonschers kommen Zorn und Hoffnung, Demütigung und Selbstvergewisserung unter dem Eindruck der Ereignisse zur Sprache. Daneben sind Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen der Stasi abgedruckt, in denen Jonscher als Objekt der Zersetzung und Kriminalisierung erscheint.
Das Brisante dieser Geschichte: Jonschers Vater war Oberstleutnant beim Ministerium für Staatssicherheit, zuerst in Halle, dann in Schwedt. Das Politische ist hier höchst persönlich und umgekehrt. „Meinen Alten bewunderte ich nicht, der war nur autoritär: Wenn ich was angestellt hatte, gab‘s erst einmal was – piff, paff! Wenn ich gefragt habe, gleich noch eine. Dann war wieder alles klar.“, heißt es. Dabei ist der Junge einfach nur naiv, renitent und auf der Suche nach seinem eigenen Weg. Seltsam beziehungs- und kommunikationslos bleibt das Verhältnis zwischen beiden. Die ideale DDR des Vaters kollidiert zunehmend härter mit den Wirklichkeitserfahrungen des Sohnes in der Schule, in der Ausbildung und bei der NVA. Die vorgesehene Karriere bei der „Firma“ verweigert Jonscher schließlich und flüchtet in ein Altersheim als Hilfspfleger.
Nach seiner Verhaftung lernt der junge Mann die dunkelschwarze Seite des Sozialismus kennen. Er klagt nicht an; die Fakten sprechen für sich. Einzelhaft. Brutale Verhöre. Dumme Vernehmer. Auf den Roten Ochsen folgt das Gefängnis in Brandenburg. Der Vater lässt alles geschehen. Hauptamtlich bei der Stasi – das war für ihn offenbar kein Beruf, sondern eine Lebensentscheidung, die strikte Loyalität zur Folge hatte. Wenn nötig, auch gegen die Familie. Eine bitter-wahre Geschichte wird hier erzählt, die daran erinnert, dass der „Rote Ochse“, Hohenschönhausen, Bautzen und Hoheneck entgegen der zynischen Behauptungen früherer Stasi-Generäle alles andere als gemütliche Behausungen waren.