Forsterstraße 13


Hier wohnten die Schwestern Paula, Clara und Selma Loewendahl sowie die Familie Günter, Paula geb. Bermann und Chana Baer

Die Familie Loewendahl waren angesehene Kaufleute. Jakob Loewendahl (*22.2.1831 in Immerarth) und seine Frau Josephine geb. Rothschild (*1843 in Düsseldorf) hatten gemeinsam neun Kinder: Hermann (*1864), Clara (*1865 in Köln), Mathilde (genannt Tilli, *1867), Paula (*1869 in Köln), Selma (*1872 in Halle), Frieda (*1873), Else (*1875), Felix Georg (*1876) und Walter (*1881). Vater Jakob Loewendahl verstarb 1885, seine Ehefrau Josephine 1897. Tochter Mathilde heiratete 1889 Max Cerf. Sie und Schwester Frieda starben 1937 eines natürlichen Todes. So auch Hermann 1939. Ihre Gräber befinden sich auf dem Jüdischen Friedhof in der Humboldtstraße.

Die Eltern hinterließen u. a. das „Geschwister Loewendahl – Spezialhaus für Damenkonfektion” in der Großen Ulrichstraße 2 (heute Kaufhaus Müller), was sich zuvor in der Großen Ulrichstraße 55 und im Anschluss in der Nr. 49 befunden hatte. 1934 waren Paula und Frieda Loewendahl und Otto Cerf als Inhaber des Unternehmens eingetragen. Außerdem hinterließen die Eltern das Wohnhaus in der Forsterstraße 13.

Im Zuge der „Arisierung“ verloren die Loewendahls allen Besitz und mussten erdulden, dass ihr Haus in der Forsterstraße von der Gestapo als „Judenhaus“ deklariert wurde, d. h. aus ihren Wohnungen vertriebene Juden wurden dort zwangsweise eingewiesen und mussten auf engstem Raum auf ihre Deportation oder weitere Anweisungen der Gestapo warten. Auch Paula und Selma Loewendahl mussten ihre Wohnung in der Seydlitzstraße 15 (heute Fischer-von-Erlach-Straße) verlassen und lebten fortan bei ihrer Schwester Clara in der 2. Etage der Forsterstraße 13.

Am 13. April 1942 nahm sich die 76-jährige Klavierlehrerin Clara Loewendahl das Leben. Nach Ankündigung der Deportation für den 19.9.1942 setzten auch die 73-jährige Paula und die 69-jährige Selma Loewendahl ihrem Leben ein Ende. Paula starb am 15. September 1942, Selma einen Tag später. Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Dessauer Straße (damals Boelckestraße) anonym bestattet – die Errichtung von Grabsteinen war inzwischen für Juden per Gesetz verboten.

Im Kellergeschoss der Forstertraße 13 lebte Familie Baer. Der Kaufmann Günter Baer (*11. März 1918 in Worms) kam am 5. September 1939 nach Halle. Er gehörte zu den Bewohnern der westlichen deutschen Grenzgebiete, die im Saarland, der Pfalz und Baden sofort bei Kriegsbeginn als Aufmarschgebiet geräumt wurden. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden in diesem Kontext ins Landesinnere evakuiert. Auch Paula Bermann (*4. November 1921 in Schwetzingen) kam auf diese Weise nach Halle und wurde auf dem Gelände des Jüdischen Friedhofs in der Boelckestraße 24 (heute Dessauer Straße) untergebracht. Hier trafen sich die jungen Leute und heirateten 1940. Am 3. Februar 1941 wurde Tochter Chana im Israelitischen Krankenhaus Hannover geboren. Bis zu ihrer Deportation am 1. Juni 1942 lebte die Familie Baer in der Forsterstraße 13. Am 3. Juni 1942 erreichte der Deportationszug das Vernichtungslager Sobibor. Wie alle 152 aus Halle Deportierten wurden auch der 25-jährige Günter, die 21-jährige Paula und das 16 Monate alte Baby Chana sofort nach der Ankunft mit Gas ermordet.

Weitere Informationen

Die Drei Schwestern – Eine Familie, dasselbe Schicksal
Ein Film von Ulrike Kuhrt, Steffen Wrede und Christin Pomplitz (2020, 11 Min)
Entstanden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine – Filme gegen das Vergessen“ des Masterstudiengangs MultiMedia & Autorschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2019/2020
Das Leben in der Boelckestraße 24 – Auf den Spuren von Isidor und Frieda Hirsch
Ein Film von Inga Dauter, Doreen Hoyer und Elisabeth Schinner (2014, 13 Min)
Entstanden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine – Filme gegen das Vergessen“ des Masterstudiengangs MultiMedia & Autorschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2014

Quellen

Carolin Emcke: Wiedergutmachung „Da hakt es im Gesetz“, in: DER SPIEGEL 30/2000 vom 24.7.2000, Seite 50-51

Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Clara Loewendahl
Eintrag zu Paula Loewendahl
Eintrag zu Selma Loewendahl
Eintrag zu Günter Baer
Eintrag zu Paula Baer
Eintrag zu Chana Baer

Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945
Eintrag zu Paula Loewendahl
Eintrag zu Clara Loewendahl
Eintrag zu Günter Baer
Eintrag zu Paula Baer
Eintrag zu Chana Baer