Weidenplan 9
Hier wohnte Simon Schwarz
Simon Schwarz entstammt einer Familie, aus der seit mehreren Generationen Rabbiner hervorgegangen waren. Er kam am 22. Juni 1866 als Sohn des Rabbiners Dr. Israel Schwarz und seiner Frau Caecilia in Köln zur Welt. Nach dem Besuch des Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums studierte er an der Berliner Universität Rechtswissenschaft; später wechselte er nach Bonn. Im Herbst 1903 zog Simon Schwarz nach Halle, wo er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tod wohnte.
Im Juni 1939 bat Leo Hirsch, damals Vorsitzender der halleschen Jüdischen „Kultusvereinigung“, Simon Schwarz in sein Büro. Im Auftrag der Gestapo forderte er ihn auf, sich als „Jude“ registrieren zu lassen. Daraufhin erklärte Simon Schwarz schriftlich:
Im Juni 1939 bat Leo Hirsch, damals Vorsitzender der halleschen Jüdischen „Kultusvereinigung“, Simon Schwarz in sein Büro. Im Auftrag der Gestapo forderte er ihn auf, sich als „Jude“ registrieren zu lassen. Daraufhin erklärte Simon Schwarz schriftlich:
„Lieber Herr Hirsch, ich bin tief gerührt darüber, daß Sie den ehrenvollen Auftrag erhalten haben, alle hier ansäßigen – oder auch die aufsäßigen? – Juden zu erfaßen. Es ist mir ein dunkles Gerücht zu Ohren gekommen und Ihr ‚Abt. Auswanderung‘ Stempel scheint eher dafür als dagegen zu sprechen -, man beabsichtige, alles Einschlägige, was nicht wenigstens 60 oder gar 70 Jahre alt sei, möglichst zur Abwanderung zu zwingen, alias sie, zur größeren Ehre des nordischen und Rasse-Gedankens, hinauszuschmeißen. Es ist nun die Frage, ob ich nun zu den „ansäßigen“ gehöre. Schon 20 Jahre, bevor ich das glückliche Unglück hatte, durch allerlei quis pro quos in die Reihe der hier gottesfürchtigen Gemeinde zu geraten und leider viel zu nobel war, um diese Situation zu klären – schon 20 Jahre zuvor, nämlich am 22. November 1904 war ich in, d.h. innerhalb der Kirche Johann Sebastian Bachs, des Thomas-Kantors
also, in die evangelisch-lutherische Gemeinschaft aufgenommen worden. […] Und nun, Kinder, tut mir mal den einzigen Gefallen und lasst mich ein bisschen in
Ruhe…
‚Noch bin durch keinen öffentlichen Akt
Der zitierte Text stammt aus dem Trauerspiel „Uriel Acosta“ von Karl Gutzkow (1811-1878), einer Auseinandersetzung mit Konversion und Rückkehr zum Judentum.
Obwohl Simon Schwarz durch Taufe und Übertritt zum Protestantismus nicht mehr der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte, galt er nach den „Rassengesetzen“ der Nationalsozialisten als Jude. Nach Verabschiedung des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 musste er somit im November seine Wohnung am Weidenplan 9 für „arische“ Mieter räumen. Er zog in „einem großen Zwangsumzug“ [Schwarz] zu dem Ehepaar Arnholz, Am Güterbahnhof 1 (→Am Güterbahnhof 1). Der 73-Jährige war in schlechter gesundheitlicher Verfassung und sein Zustand verschlechterte sich zunehmend:
„Meine Lage ist seit längerem durchaus lebensgefährlich, dergestalt, daß ich jeden Augenblick aus sein kann wie ein Licht“. Als Ursache sah er die Repressalien durch die Nationalsozialisten: „Der Ekel bringt mich um“. Sein Hausarzt Dr. Hermann Jastrowitz (→ Händelstraße 26) glaubte, dass die Beschwerden seines Patienten hauptsächlich psychischer Natur seien und Simon Schwarz eine „Alterspsychose mit hypochondrischen Wahnideen“ aufweise.
Aus Furcht vor wirtschaftlicher Not wandte sich Simon Schwarz an eine Nichte in Amsterdam, die ihn bereits finanziell unterstützte. Aus der Ferne bat sie die Jüdische Gemeinde in Halle um Hilfe, die ihr der Vorsitzende Leo Hirsch auch zusicherte. Kurz darauf verschlechterte sich der Zustand von Simon Schwarz derart, dass ihn Dr. Jastrowitz am 30. September 1942 in die Nervenklinik des Universitätskrankenhauses Halle einweisen wollte. Wegen fehlender Kapazitäten wurde der Patient jedoch erst einen Tag später in die „Landesheilanstalt” Altscherbitz bei Leipzig gebracht. Nur fünf Tage später, am 6. Oktober 1940, war er tot. Als Todesursache wurde „Marasmus [Anm.: abnehmende Lebenskraft, vor allem im hohen Alter] bei seniler Demenz“ angegeben.
Dr. Jastrowitz zeigte sich nicht überrascht, obwohl er noch am Einlieferungstag gegenüber einer weiteren Nichte vermutete, dass es nicht ausgeschlossen sei, „dass, gute Pflege vorausgesetzt, der Zustand Ihres Onkels sich bessert und er wieder entlassen werden kann.“ Was seinen Tod in letzter Instanz bewirkt hat, kann aufgrund fehlender Unterlagen nicht belegt werden. War es die Aufregung bei schlechter Pflege und abnehmender Lebenskraft? Auch eine tödliche Spritze im Rahmen der Euthanasie-Morde kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegt werden.
In seinem Testament schrieb Simon Schwarz: „Ich vermache […] meinen Fluch dem Tropf-Trottel, Dummkopf, wenn nicht Schurken (?) Welsch von der Gestapo, der mich ins Unglück, oder wenigstens in das ‚Schlamassel‘, brachte“.
‚Noch bin durch keinen öffentlichen Akt
ich wieder heimgekehrt zu Jakobs Stämmen‘
‚Ihr seid ein Goj. Viel Ehre muß uns dünken,
daß Ihr bei Euren Knechten (ergebensten Dienern) hier verweilt‘“
Der zitierte Text stammt aus dem Trauerspiel „Uriel Acosta“ von Karl Gutzkow (1811-1878), einer Auseinandersetzung mit Konversion und Rückkehr zum Judentum.Obwohl Simon Schwarz durch Taufe und Übertritt zum Protestantismus nicht mehr der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte, galt er nach den „Rassengesetzen“ der Nationalsozialisten als Jude. Nach Verabschiedung des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 musste er somit im November seine Wohnung am Weidenplan 9 für „arische“ Mieter räumen. Er zog in „einem großen Zwangsumzug“ [Schwarz] zu dem Ehepaar Arnholz, Am Güterbahnhof 1 (→Am Güterbahnhof 1). Der 73-Jährige war in schlechter gesundheitlicher Verfassung und sein Zustand verschlechterte sich zunehmend:
„Meine Lage ist seit längerem durchaus lebensgefährlich, dergestalt, daß ich jeden Augenblick aus sein kann wie ein Licht“. Als Ursache sah er die Repressalien durch die Nationalsozialisten: „Der Ekel bringt mich um“. Sein Hausarzt Dr. Hermann Jastrowitz (→ Händelstraße 26) glaubte, dass die Beschwerden seines Patienten hauptsächlich psychischer Natur seien und Simon Schwarz eine „Alterspsychose mit hypochondrischen Wahnideen“ aufweise.
Aus Furcht vor wirtschaftlicher Not wandte sich Simon Schwarz an eine Nichte in Amsterdam, die ihn bereits finanziell unterstützte. Aus der Ferne bat sie die Jüdische Gemeinde in Halle um Hilfe, die ihr der Vorsitzende Leo Hirsch auch zusicherte. Kurz darauf verschlechterte sich der Zustand von Simon Schwarz derart, dass ihn Dr. Jastrowitz am 30. September 1942 in die Nervenklinik des Universitätskrankenhauses Halle einweisen wollte. Wegen fehlender Kapazitäten wurde der Patient jedoch erst einen Tag später in die „Landesheilanstalt” Altscherbitz bei Leipzig gebracht. Nur fünf Tage später, am 6. Oktober 1940, war er tot. Als Todesursache wurde „Marasmus [Anm.: abnehmende Lebenskraft, vor allem im hohen Alter] bei seniler Demenz“ angegeben.
Dr. Jastrowitz zeigte sich nicht überrascht, obwohl er noch am Einlieferungstag gegenüber einer weiteren Nichte vermutete, dass es nicht ausgeschlossen sei, „dass, gute Pflege vorausgesetzt, der Zustand Ihres Onkels sich bessert und er wieder entlassen werden kann.“ Was seinen Tod in letzter Instanz bewirkt hat, kann aufgrund fehlender Unterlagen nicht belegt werden. War es die Aufregung bei schlechter Pflege und abnehmender Lebenskraft? Auch eine tödliche Spritze im Rahmen der Euthanasie-Morde kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegt werden.
In seinem Testament schrieb Simon Schwarz: „Ich vermache […] meinen Fluch dem Tropf-Trottel, Dummkopf, wenn nicht Schurken (?) Welsch von der Gestapo, der mich ins Unglück, oder wenigstens in das ‚Schlamassel‘, brachte“.
Quellen
Universitätsarchiv Bonn, Matrikelbücher, Anmeldebuch Simon Schwarz (No 892 des Universitätsalbums)
Staatsarchiv Leipzig, Bestand 20047: Landesheilanstalt Altscherbitz
Frank Hirschinger: „Zur Ausmerzung freigegeben“. Halle und die Landesheilanstalt Altscherbitz 1933-1945, Köln u.a., 2001
Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Adressbücher der Stadt Halle
Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke
Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Simon Schwarz
Staatsarchiv Leipzig, Bestand 20047: Landesheilanstalt Altscherbitz
Frank Hirschinger: „Zur Ausmerzung freigegeben“. Halle und die Landesheilanstalt Altscherbitz 1933-1945, Köln u.a., 2001
Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Adressbücher der Stadt Halle
Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke
Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Simon Schwarz