IN MEMORIAM
Krystana „Tanka“ Janewa
*30. Oktober 1914 in Wysochen
+23. Oktober 1944 im „Roten Ochsen“ Halle

Ein Nachruf von Simone Trieder anlässlich des 80. Todestages

Tanka wurde nicht einmal 30 Jahre alt, hatte bereits als Kind ihre Eltern verloren und war als Kundschafterin für die Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ tätig.
Krystana „Tanka“ Janewa teilte im Oktober 1943 für wenige Wochen mit den Polinnen Krystyna Wituska und Lena Dobrzycka die Zelle 18 im Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit. Im Herbst 1944 wurde Tanka nach Halle überstellt und am 23. Oktober wenige Tage vor ihrem 30. Geburtstag hingerichtet.

Über die bulgarische Widerstandskämpferin ist in Deutschland wenig bekannt. Eine Tafel am Haus der Albrechtstraße 14 in Berlin erinnert an sie. Sie lebte dort als Studentin der Friedrich-Wilhelms-Universität (nach 1945 Humboldt-Universität). Janewa wurde am 30. Oktober 1914 in Wysochen in der Nähe des Ortes Drama geboren. Der Ort lag damals in Mazedonien, heute in Griechenland. Ihr Vater Iwan Janew war ein mazedonischer Freiheitskämpfer und starb, wie auch die Mutter, früh. Als vierjährige Waise kam Janewa nach Sofia zu ihrer Tante Zlata Karajanewa, die sie mit den eigenen Töchtern großzog. Sie studierte Pädagogik, und arbeitete nach dem Examen als Lehrerin in einem Waisenhaus. Bereits im Studium lernte sie Deutsch, wurde Mitglied der kommunistischen Partei und einer Partisanengruppe, die Kontakt zum sowjetischen Geheimdienst hatte. Dieser schickte sie als Kundschafterin nach Berlin. Sie bewarb sich für einen Studienplatz und erhielt über den deutschen Gesandten in Bulgarien, dem SA-Obergruppenführer Adolf Beckerle, nicht nur die Erlaubnis für das Studium, sondern er verschaffte ihr sogar ein Stipendium über die Alexander-Humboldt-Stiftung. Die Wohnung im Seitenflügel der Albrechtstr. 14 lag etwas versteckt. Janewa sollte Kontakt zur der Gruppe der Roten Kapelle um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack aufnehmen. Doch diese waren bereits Ende August/Anfang September enttarnt und verhaftet worden. Dennoch war sie als Kurierin „Frida“ viel unterwegs, über Klara Schabbel, die im Oktober 1942 verhaftet wurde, kam der Kontakt zu der Hamburger Gruppe um Bernhard Bästlein zustande. Sie reiste nach Paris, Prag und Brüssel, um geheime Informationen zu übergeben und war als Funkhelferin tätig. Am 29. April 1943 wurde sie von der Gestapo in ihrer Wohnung verhaftet.

Im bulgarischen Netz existiert ein Artikel von Christo Georgjew auf der Seite „Duma“, in dem aus einem Brief von Janewa an Greta Kuckhoff zitiert wird. Da diese bereits im September 42 verhaftet worden war, kann der Kontakt erst im Polizeigefängnis Alexanderplatz zustande gekommen sein. In dem Brief schreibt Tanka: „Als sie mich festnahmen, hatte ich keine Ahnung, was sie wussten. Wenn sie alles wüssten, hätten sie mich schon vor langer Zeit getötet. Aber sie wussten nicht alles und werden es auch nicht wissen … Die Gestapo und die Abwehr versuchten, mich für ihre höllischen Zwecke zu gewinnen. (…) Heute habe ich einen Brief von meiner armen Tante erhalten. Immer wenn ich ihre Briefe lese, blutet mir das Herz. Ich war seit meiner Kindheit ohne Eltern, sie hat mich großgezogen, ich liebe sie wie eine Mutter. Und sie liebt mich wie ihr Kind. Tante Zlata lebt seit so vielen Monaten in schmerzhafter Ungewissheit. Tag und Nacht denkt sie an mich und betet für mein Leben. Und ich bete für mein Leben, aber nicht zu Gott, sondern zur Roten Armee. Ich möchte hoffen, dass sie kommt, bevor ich die Unterkunft wechsle.“ Ob Tanka nicht wusste, dass Greta Kuckhoff ebenfalls in Haft war? Denn sie schrieb: „Ich würde mich freuen, wenn Sie mir „Don Carlos“ oder Gedichte von Goethe oder Uhland schicken könnten …“

Am 22. Juni 1943 wird Krystana Janewa vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Im Juli wird sie ins Untersuchungsgefängnis nach Moabit überstellt. Dort teilt sie die Zelle 20 mit Germaine Schneider und Betty Depelsenaire (beide Rote Kapelle).

Betty schrieb am 10. Juni 1947 einen Brief an Tankas Cousine Boyka Karajanewa, darin heißt es: „Tanka war wirklich meine Schwester. Ich habe vor allem ihre Energie in allen Prüfungen bewundert. Das würde man nicht erwarten, wenn man sie sieht, aber im Gespräch spürt man eine starke und zugleich sehr sensible Seele. Ihr Beruf in Berlin war nicht sehr angenehm. (…) Tanka erhielt regelmäßig eure Pakete und freute sich, wenn sie mir und Germaine Schneider, die nichts bekam, Seife und Zahnpasta schenken konnte … Ich kann Ihnen sagen, dass Tanka in all der Zeit, in der ich sie kannte, nie den Mut verloren hat. Manchmal war sie verbittert bei dem Gedanken, hingerichtet zu werden, aber Ihre Briefe haben sie immer aufgemuntert.“

Der bulgarische Journalist Kyrill Janew (1926–2022) begab sich nach dem Krieg auf die Spuren Krystana Janewas. Ob er ein Verwandter ist, konnte noch nicht geklärt werden. Er erzählte von seinen Forschungen in einem Interview von Isak Gozes für „Show Blitz bg“ am 18. Januar 2021: Er hatte den Berliner Vermieter der Wohnung Albrechtstr. 14 aufgesucht, der ihm mitteilte, dass seine Mieterin für die Rote Kapelle gearbeitet hatte und dafür zum Tode verurteilt wurde. Bei seinen Nachforschungen in Halle wartete ausgerechnet der Sargtischler mit einem grauslichen Detail auf, der sich auf einen Aufruf des Journalisten in der halleschen Lokalpresse gemeldet hatte: „Eines Tages befahl mir mein Chef, einen kleinen Sarg für eine bulgarische Frau zu machen. Sie ist klein. Wenn wir ihren Kopf entfernen, wird sie ein Kind.“ In einer anderen Textvariante hieß es: „Eines Tages befahl mir mein Chef, einen kleinen Sarg zu bauen. Ich fing an zu zittern: Für ein Kind?, frage ich. Nein, da ist eine Bulgarin. Sie ist zierlich. Durch das Abnehmen des Kopfes wird sie zum Kind.“

Es meldete sich auf den Aufruf auch die ehemalige Gefängnisdirektorin des Zuchthauses „Roter Ochse“ Frau Reisenbuch. Sie wollte nicht mit Janew sprechen, schrieb ihm aber: „Ich habe den Befehl erhalten, eine Russin, eine Polin und eine Bulgarin zur Vollstreckung zu bringen. Ich habe sie zuletzt mitgenommen. Ich habe sie angelogen. Am Ende des Korridors übergab ich sie zur Unterschrift zwei Männern in Gummikleidung und Masken. Sie brachten sie in einen besonderen Raum, schlossen die Tür und – das war’s.“

Kyrill Janew kam 1992 hinzu, als in Sofia an der Kreuzung der Straßen „Patriarch Euthymius“ und „Graf Ignatiev“– wo sich das Waisenheim befand, in dem Janewa gearbeitet hatte – die Gedenktafel mit dem Namen Krystana Janewas entfernt wurde. Er wollte sie retten, aber der Arbeiter, der sie zertrümmert hatte, erklärte, er brauche die Reste, um Rechenschaft ablegen zu können. In Bulgarien wurde ihr posthum der Orden „9. September 1944“ für den Kampf gegen den Faschismus verliehen.1977 entstand nach dem Drehbuch des bekannten bulgarischen Schriftstellers Anton Dontchew der Film „Auf der anderen Seite des Spiegels“ eine Koproduktion des Spielfilmstudios Boyana und der DEFA in der Regie von Ilja Weltchew. Darin wird das kurze Leben der Kundschafterin „Frida“ erzählt, das Leben von Krystana Janewa. In der DDR wurde der Film vermutlich nicht gezeigt.

2024 ist es 80 Jahre her, dass Tanka Janewa in Halle im „Roten Ochsen“ hingerichtet wurde. Auf dem Gertraudenfriedhof in Halle befindet sich eine Gedenkanlage für Sowjetbürger, die 1949 vor allem für Zwangsarbeiter errichtet wurde. Auf einer der Tafeln findet sich die Inschrift: „Krytana Janewa 1914 bis 23.10.1944“.

Dank an Conni Marks für die Netzsuche auf Makedonisch und Radoslaw Ehlenow auf Bulgarisch.