Carl-von-Ossietzky-Straße 16


(ehemals Bismarckstraße)

Hier wohnte Dr. phil. Wera Tubandt geb. Krilitschewsky

Am 9. März 1881 wurde Wera Tubandt im russischukrainischen Odessa in eine wohlhabende jüdische Kaufmannsfamilie geboren. Fanny und Abraham Krilitschewsky unterstützten die Begabung ihrer Tochter und ermöglichten ihr eine für die damalige Zeit ungewöhnliche akademische Ausbildung. Noch in Odessa machte Wera ein Lehrerinnen-Examen. Zum Wintersemester 1899/1900 schrieb sie sich an der Universität Halle-Wittenberg für das Chemiestudium ein. Hier lernte sie auch ihren späteren Ehemann Friedrich Carl Tubandt (*1878 in Halle) kennen.

Im Februar 1902 absolvierte sie erfolgreich das „Chemische Verbandsexamen“ in Halle. Da zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Männern eine Promotion in Halle vorbehalten war, wechselte Wera Krilitschewsky nach Gießen. Sie nutzte die Neuerung, dass seit 1900 an hessischen Universitäten Frauen als Gasthörerinnen zugelassen waren und schrieb sich für das Wintersemester 1902/03 im Fach Chemie an der Ludwigs-Universität Gießen ein. Das Jahr 1904 brachte für die 23-Jährige viele einschneidende Ereignisse: Sie ließ sich christlich taufen und heiratete den aus einer evangelischen Handwerkerfamilie stammenden Friedrich Carl Tubandt. Im selben Jahr promovierte sie in Gießen mit „magna cum laude“ mit einer Dissertation zum Thema „Zur Kenntnis des Cersulfat-Akkumulators“. Als Frau benötigte sie dafür eine besondere Erlaubnis, die ihr Professor Karl Elbs erteilte. Damit ermöglichte er, dass Wera Krilitschewsky-Tubandt als erste Frau auf regulärem Weg (vier Jahre vor der offiziellen Einführung des Frauenstudiums 1908) die Promotion in Hessen erlangte. Es folgten glückliche Jahre in Halle.

Weras Ehemann, der gebürtige Hallenser Friedrich Carl Tubandt, hatte 1900 in den Franckeschen Stiftungen Abitur gemacht und ebenfalls im Jahr 1904 promoviert. Am Chemischen Institut der Universität Halle baute er das physikalisch-chemische und elektrochemische Laboratorium auf. Mit der Geburt der beiden Töchter, Wera Michaela (*1905) und Katharina (*1907), gab Wera Tubandt ihre akademische Laufbahn auf. Untätig war sie jedoch nicht: Im Goethe-Jahr 1924 publizierte sie in einer halleschen Zeitung, hielt 1932 die Begrüßungsansprache an die „Jungakademikerinnen“ des Wintersemesters und war Mitglied im Deutschen Akademikerinnenbund. Tubandts gehörten zum Bildungsbürgertum von Halle. 1927 kauften sie das 1910 erbaute Haus in der heutigen Carl-von-Ossietzky-Straße 16.
Friedrich Carl Tubandt, inzwischen zum Professor ernannt, wurde 1931 Direktor des von ihm geschaffenen Instituts für Physikalische Chemie.

1933 erließen die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das die Vertreibung von Juden aus akademischen Berufen legitimieren sollte und später auch auf deren Angehörige angewandt wurde. Da Prof. Tubandt der Aufforderung nicht nachkam, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen, erfolgte 1937 die Entlassung von der Universität. Da half auch nicht, dass Tubandt 1934 förderndes Mitglied der SS geworden und der Nationalsozialistischen Wohlfahrt sowie dem Reichsluftschutzbund beigetreten war. Das Ehepaar Tubandt verließ Halle und zog zu den Töchtern nach Berlin.

Carl Tubandt litt schwer unter dem ihm widerfahrenen Unrecht, erkrankte und starb am 17. Januar 1942. Damit erlosch auch der schwache Schutz, den die Ehe der getauften Jüdin mit einem „Arier“ noch geboten hatte.

Die jüngste Tochter Katharina schrieb rückblickend am 29.8.1946: „Von dem Augenblick an war meine Mutter den Verfolgungen durch die Nazis ausgesetzt. Zuerst konnte ich sie schützen, indem ich zu ihr zog unter Aufgabe meiner Wohnung. Anfang 1944 wurden aber alle meine Bemühungen vergebens – nachdem ich meine Mutter mehrere Wochen lang bei Freunden versteckt halten konnte, entzog sie sich allen weiteren Verfolgungen und Gefährdungen ihrer Umgebung durch den Freitod.“

Wera Tubandt starb am 9. Februar 1944 im Alter von 62 Jahren. Mit Hilfe von Freunden und Verwandten konnten sich die Töchter dem Zugriff der Gestapo entziehen und überlebten.

Weitere Informationen

Gemeinsam gegen die Verfolgung – Das Schicksal von Wera und Carl Tubandt 2015, 10 Min – von Marco Härtl und Simon Leimig.
Entstanden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine – Filme gegen das Vergessen“ des Masterstudiengangs MultiMedia & Autorschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2015.

Quellen

Klein, Dagmar: Eine Frau, die Geschichte schrieb. In: uniforum Nr. 1/2009, Justus-Liebig-Universität Gießen

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)

Eintrag zu Wera Tubandt