Kleine Klausstraße 3

(ehemals Nummer 7)

Hier wohnte Lena Lichtenstein mit ihren Töchtern Henny Wachter geb. Lichtenstein und Gertrud Lichtenstein


Lena Lichtenstein geb. Abramowitz und Jacob Leib Lichtenstein hatten neun Kinder: Hermann (*1888), Abraham Chaim (Heinrich) (*1890), Siegfried (*1893), Martha (*1895, verstarb eine Woche nach der Geburt), Julius Max (*1896), Adolf (*1898), Henny Rosa (*1899), Henriette (*1901) und Gertrud (*1903).

Das Ehepaar betrieb im Erdgeschoss des Hauses in der Sternstraße 1 ein Damen-Hutmacher-Geschäft. Auch drei ihrer Kinder schlugen die Kaufmannslaufbahn ein: Abraham hatte eine Tuchhandlung in der Kleinen Klausstraße 3 (damals Nr. 7), Gertrud und Siegfried betrieben gemeinsam eine Tuch- und Pelzwarenhandlung in der Großen Nikolaistraße 6. Nach dem Tod von Jacob Lichtenstein im Jahr 1933 setzte Lena Lichtenstein den Geschäftsbetrieb allein fort. Ihre älteste Tochter Henny führte den Haushalt. Das alles änderte sich 1936. Die Boykotthetze der Nationalsozialisten und drohende Enteignungen jüdischen Besitzes trieben die Söhne außer Landes. So setzten sich Siegfried und Heinrich 1936 nach Prag ab. Siegfried flüchtete 1938 weiter nach Paris, Abraham 1939 nach England.

Die Frauen blieben allein in Halle zurück. Lena Lichtenstein gab die Geschäftsräume in der Sternstraße auf, verlegte ihr Hutgeschäft in Gertruds Laden in der Großen Nikolaistraße und zog mit Tochter Henny in die nun leerstehende Wohnung ihres Sohnes Heinrich in die Kleine Klausstraße.

Inzwischen 71-jährig verzichtete Lena Lichtenstein auf die Arbeit im Geschäft und Gertrud führte das Unternehmen allein weiter, bis sie 1938 auch dieses Geschäft schließen musste. Sie zog zu Mutter und Schwester und die drei Frauen suchten nach einer Fluchtmöglichkeit.

Wann es Gertrud gelang, Deutschland zu verlassen, ist nicht bekannt. In einer Aufstellung der Jüdischen Gemeinde über die Auswanderung ihrer Mitglieder findet sich nur der Eintrag, dass Lena und Henny Lichtenstein im Mai/Juni 1939 nach Belgien emigrierten. Lena muss zu diesem Zeitpunkt schon sehr krank gewesen sein. In den Unterlagen findet sich ein Hinweis, sie habe 1939 noch in Halle einen „Nervenschlag“ erlitten. Zum weiteren Schicksal der 74-Jährigen gibt es keine Hinweise. Vielleicht ist sie in Belgien gestorben, wo die beiden Töchter die nächsten vier Jahre lebten.

Henny heiratete hier den Kaufmann Abraham Wachter (*1883 in Rotzmatow). Mit ihm und ihrer Schwester Gertrud wurde Henny am 19.April 1943 vom belgischen Deportationslager Mechelen nach Auschwitz in den Tod geschickt.
Dieser 20. Deportationszug wurde von jungen belgischen Widerständlern überfallen. Etwa 17 Juden konnten fliehen. Die Lichtensteins waren nicht dabei. Einzelheiten dieser Befreiungsaktion schildert das Buch „Stille Rebellen – der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz“ von Marion Schreiber, Aufbau - Taschenbuchverlag, Berlin 2002.

Über das Schicksal der Kinder Hermann, Julius Max, Adolf und Henriette ist nichts bekannt.

Quellen

Marion Schreiber: Stille Rebellen – der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz. Berlin, 2002

Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Henny Wachter
Eintrag zu Gertrud Lichtenstein