Marienstraße/Ecke Dorotheenstraße


Hier wohnten Margarethe Friedmann geb. Schwabach, ihr Sohn Werner Friedmann, ihr Bruder Paul Schwabach, seine Frau Gertrude Schwabach geb. Müller, deren Kinder Kurt Philip und Hannelore Schwabach und Margarethe Friedmanns Pflegekind Ilse Levi

Margarethe Friedmann geb. Schwabach wurde am 6. April 1884 in Halle geboren. Sie war das erste sechs Kindern des Ehepaars Philipp und Therese Schwabach. Zwei ihrer fünf Brüder starben im Ersten Weltkrieg. Dem Vater Philipp Schwabach gehörte eine Rohproduktenhandlung für Textilien in der Raffineriestraße 44, die später zwei seiner Söhne übernahmen.
1900 heiratete Margarethe den 15 Jahre älteren Kaufmann Hermann Friedmann. Am 13. September 1901 wurde ihr gemeinsamer Sohn Hans, am 12. Mai 1908 Sohn Werner geboren. Die Familie lebte in ihrem eigenen Haus in der Marienstraße 24, wo Hermann Friedmann eine Viehhandlung betrieb. Als Hermann Friedmann 1926 starb, erbte seine Frau das Haus. Drei Jahre später, 1929, wanderte der älteste Sohn Hans Friedmann nach Kanada aus.
Um 1934 zog Paul Schwabach (*18.10.1884 in Halle), ein Bruder von Margarethe, mit seiner Familie in eines der Hinterhäuser auf dem Grundstück seiner Schwester und richtete hier eine Fellhandlung ein. Paul Schwabach hatte zuvor mit seiner Frau Gertrude geb. Müller (*7.5.1861 in Halle) in Weimar gelebt, wo auch die Kinder Kurt Philip (*1924) und Hannelore (*1928) zur Welt kamen.
In der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Margarethes Sohn Werner festgenommen und in das KZ Buchenwald gebracht. Am 9. 1. 1939 kehrte Werner mit einer Lungen- und Rippenfellentzündung nach Hause zurück. Am 3. 2. 1939 starb der 30-Jährige im St. Barbara Krankenhaus. Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Humboldtstraße.

Im April 1939 gelang Paul Schwabach zusammen mit Frau und Kindern die Flucht nach Shanghai – einem der wenigen Orte, die für Juden noch ohne Visa erreichbar waren. Gemeinsam mit ihnen floh auch Walter Schwabach, ein weiterer Bruder. Auch er wurde während der Reichspogromnacht verhaftet und im KZ Buchenwald inhaftiert, wo ihm von der SS ein Ohr abgeschlagen wurde. Margarethe Friedmann hatte die Flucht ihrer Geschwister finanziell unterstützt. Nun war sie die letzte ihrer Familie in Halle.
Ilse Levi wurde am 26. November 1925 in Freudenberg/Baden-Württemberg geboren. Nachdem sie als Jüdin dort nicht mehr die Schule besuchen durfte, wurde sie, um weiter Unterricht erhalten zu können, gemeinsam mit ihren Geschwistern Sidda und Emil im „Israelitischen Waisenhaus Wilhelmspflege“ in Esslingen aufgenommen. Als auch diese Schule geschlossen wurde, gelangten die drei im September 1939 durch Bemühungen des Esslinger Heimleiters Theodor Rothschild nach Halle.
Margarethe Friedmann nahm Ilse und Sidda in Obhut, Bruder Emil wurde getrennt von seinen Schwestern untergebracht. In den Sommerferien 1940 besuchten die drei Geschwister ihre Eltern in Freudenberg. Nur Ilse Levi kehrte nach Halle zurück. Sidda und Emil besuchten fortan eine Schule in Karlsruhe.
Ilse hatte bereits die 8. Klasse abgeschlossen, womit ihre Schulpflicht beendet war. Nun musste sie eine Ausbildung beginnen. Zunächst absolvierte sie ein Praktikum im „Alten- und Siechenheim“ in der Boelckestraße 24 (heute Dessauer Straße), später begann sie dort ihre Ausbildung.

Margarethe Friedmann bemühte sich um Auswanderung nach England. Die Jüdische Gemeinde in Halle bestätigte, „daß Frau Friedmann bereits eine Stelle bei Mrs. Edith Graham [in Midhurst/England] hat. Diese Dame teilt mit, dass die Angelegenheit sehr dringend ist, da sie Frau Friedmann gern zu dem frühesten Termin zu sich nehmen möchte.“ Im Oktober 1941 sandte Margarethe Friedmann per Telegramm einen Hilferuf an ihren Bruder Albert in den USA. Sie bat darum, ihr dringend ein Visum für Kuba zu besorgen. Erfolglos.

Im Zuge der „Zwangsarisierung“ ging das Grundstück Marienstraße 24 in den Besitz der Most-Schokoladenfabrik über, der auch schon das Nachbargrundstück Nr. 25-27 gehörte. Am 26. November 1941 musste Margarethe Friedmann ihr Haus verlassen und in das „Judenhaus“ Hindenburgstraße 63 ziehen (das Haus wurde bei der Bombardierung Halles zerstört).
Im Mai 1942 erhielten die 58-jährige Margarethe Friedmann und die 16-jährige Ilse Levi den Bescheid über eine bevorstehende „Abwanderung in den Osten“. Am 1. Juni 1942 bestiegen sie in Halle gemeinsam mit 153 weiteren Juden einen Personenzug 3. Klasse, der sie in das Vernichtungslager Sobibor brachte, wo sie noch am Ankunftstag, dem 3. Juni 1942, mit Gas ermordet wurden.
Sidda und Emil Levi trafen im Oktober 1940 in einem Deportationszug nach Gurs/ Frankreich per Zufall auf ihre Eltern Benno und Else Levi sowie auf ihre Großmutter Klara Rothschild. Während die beiden Geschwister den Krieg mit Hilfe einer Organisation, die sie an verschiedenen Orten in Südfrankreich versteckte, überlebten, wurden Benno und Else Levi am 1.9.1942 nach Auschwitz deportiert und dort am 13.9.1942 ermordet.
Klara Rothschild starb am 2. Januar 1943 im Internierungslager Nexon/Frankreich.

Sidda und Emil Levi zogen 1946 zu einem Onkel in die USA. Walter sowie Paul Schwabach, seine Frau und die Kinder begaben sich nach dem Krieg von Shanghai in die USA. Ihr Bruder Albert Schwabach, der mit seiner Ehefrau nach New York City/USA geflüchtet war, starb bereits 1943. Margarethes Sohn Hans Friedmann wurde ein erfolgreicher Restaurantbetreiber und erster Fernsehkoch Kanadas mit der Sendung „Hans in the Kitchen“. Er starb 1971 in Toronto.

Das Haus Marienstraße 24 wurde in den letzten Kriegsmonaten zerstört und später überbaut. Dort befindet sich nun der Bürokomplex Magdeburger Straße 36 mit angrenzender Grünfläche. Die STOLPERSTEINE liegen daher in der Marienstraße/ Ecke Dorotheenstraße, an der Rückseite des heutigen Bürokomplexes.
Ende 2021 wurde das Tee-Service der Familie Levi aus dem Hausstand in Freundenberg in die jüdische Abteilung des Grafschaftsmuseums in Wertheim gegeben. Die Teile wurden ein halbes Jahr nach der Deportation der Eltern von einer Nachbarin ersteigert. Deren Kinder gaben die noch erhaltenen Teile 2020 zurück und so kamen sie ins Museum.

(Bild 1: Das Teegeschirr wurde nach der Deportation der Freudenberger Familie Levi aus der Fenster heraus versteigert. Jetzt ist es im Museum und macht – 80 Jahre später – Zeitgeschichte greifbarer. Von Links: Stefanie Arz (Leiterin Grafschaftsmuseum) , Dr. Bertram Söller, Waltraud Beck, Prof. Joachim Meier, Irene Hefner und die Archivarin Claudia Wieland. Foto: Geringhoff Bildunterschrift 2021-11-08 –> Das Teegeschirr wurde nach der Deportation der Freudenberger Familie Levi aus dem Fenster heraus versteigert. Jetzt ist es im Museum und macht 80 Jahre später Zeitgeschichte greifbarer. Von links: Stefanie Arz (Leiterin Grafschaftsmuseum), Bertram Söller, Waltraud Beck, Joachim Meier, Irene Hefner und die Archivarin Claudia Wieland. ⋌Foto: Michael Geringhoff)

Weitere Informationen

Shanghai – Zuflucht und Wartesaal. Hallesche Juden im Exil.
Ein Film von Fabian Lamster, Stefan Michel, Marie Schultz (2017, 30 Min)
Entstanden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine – Filme gegen das Vergessen“ des Masterstudiengangs MultiMedia & Autorschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2017

Quellen

Joachim Maier: Die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus Freudenberg am Main. Ein Gedenkbuch. Ubstadt-Weiher 2014
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Fotos: Stadtarchiv Halle sowie Foto-Archiv Schumann
Stadtarchiv Halle (Saale), Nachlass Gudrun Goeseke

Volkhard Winkelmann und ehemaliges Schülerprojekt "Juden in Halle" des Südstadt-Gymnasiums Halle (Hrsg.): Unser Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle. 3. Auflage (2008)
Eintrag zu Margarethe Friedmann
Eintrag zu Werner Friedmann
Eintrag zu Ilse Levi
Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer des nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945)
Eintrag zu Margarethe Friedmann
Eintrag zu Werner Friedmann
Eintrag zu Ilse Levi